Samstag, 23. Juli 2022

Die schöne Stolperin

Flüchtige Einblicke in die Kunstgeschichte der Stadt Stolp in Pommern

Die mächtige Marienkirche in Stolp in Pommern hat als eines der wenigen Gebäude den Stadtbrand des Jahres 1945 überstanden. Sie war Mittelpunkt und Ausdruck des Lebenswillens dieser Stadt. 

Abb.: 1: Die schöne Stolperin

In dieser findet sich eine hölzerne Kreuzigungsgruppe aus der Zeit um 1520 (1). Das ist die Zeit des Tilman Riemenschneider in Würzburg und des Veit Stoß in Krakau und Nürnberg. Die Kreuzigungsgruppe besteht aus dem gekreuzigten Jesus, der trauernden Maria, dem Evangelisten Johannes und drei Engeln. 1927 wurde von Seiten der Kunsthistoriker vermutet (1):

Anscheinend unter Nürnberger Einfluß, doch schwerlich fränkischer Import. (...) Holz polychromiert, Figuren lebensgroß.

2009 ist dieses Kunstwerk restauriert worden. Dabei ist versucht worden, die ursprüngliche Farbigkeit wiederherzustellen (2, 3). In dem Zusammenhang wird gemutmaßt, daß die Kreuzigungsgruppe von dem Bildhauer Meister Paul in Danzig geschaffen worden sein könnte, der dort einen Christopherus geschaffen hat, und der sich an dem berühmtem Veit Stoß aus Krakau orientiert hätte.

Abb. 2: Die trauernde Maria und der Evangelist Johannes, Marienkirche in Stolp, geschaffen um 1520

Die Figuren der Maria und des Evangelisten Johannes sind Ausdruck der Frömmigkeit wie sie in der Zeit um 1520 gelebt wurde.

Es ist ja auch denkbar, daß eine der Bewohnerinnen der Stadt Stolp aus dem Jahr 1520 für diese Figur Modell gestanden hat.

Überraschenderweise beginnt die Kunstgeschichte der Stadt Stolp in Pommern schon im Mesolithikum, nämlich 8.500 bis 6.500 v. Ztr.. 1887 ist beim Torfstechen nahe der Stadt die zehn Zentimeter lange Bernsteinfigur eines Bären gefunden worden, der sogenannte "Stolper Bär" (Wiki).

Abb. 3: Der Stolper Bär, Bernsteinfigur, 8500 bis 6500 v. Ztr., gefunden 1887 beim Torfstechen

Diese kleine Bären-Figur dürfte von Menschen der Maglemose-Fischer-Jäger-Sammler-Kultur geschaffen worden sein. Sie paßt ganz hervorragend zu dem Umstand, daß bei dem noch Anfang des 20. Jahrhunderts mesolithisch lebenden Fischer-Jäger- und Sammler-Volk der Chanten und Mansen in Westsibirien der Bären-Kult eine ganz besondere Rolle spielt. Es gibt sogar Vermutungen, daß unser Weihnachtsfest auf diesen Bärenkult zurück geht, da in seinem Zusammenhang auch ein Kiefernbäumchen in das Versammlungshaus mitgebracht wird, in dem der Bär verehrt wird (Stgen2022). 

Ein bedeutender Maler der Stadt Stolp in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war Otto Priebe (geb. 1886 in Schlawe; gest. am 10. Juli 1945 in Karpinz / Ural) (Wiki, Stolp.de, Museum). Sein Gemälde "Wintertag in Stolp" fällt ins Auge.

Abb. 4: Wintertag in Stolp - Gemälde von Otto Priebe aus dem Jahr 1928 (Mus.) (Mittelpommersches Museum in Stolp) (auch in: 4)

Das Gemälde entstand im Jahr 1928. Man gewinnt den Eindruck daß dder Maler sehr glücklich in Stolp gewesen ist. So viel Wärme und Liebe spricht aus diesem Bild. Liebe zum Schönen an sich, Liebe aber auch zu dieser Stadt, Liebe zu dem Land, zu der sie gehört.

Dieses Bild mag besser als jede Fotographie nachfolgenden Generationen jenen emotionalen Bezug nachempfinden lassen, den die Bewohner dieser Stadt ihr gegenüber hatten. Historische Fotografien können demgegenüber leicht zu kalt und nüchtern wirken.

Aber wie ist es eigentlich sonst um Deine Maler, um deine Künstler bestellt, Pommern, so fragt man sich beim Anblick dieses Gemäldes. Ist nicht der Weg über das gemalte Bild der unmittelbarste zu einer Landschaft, die uns so vergleichsweise fern gerückt ist wie die Pommersche? Wir hatten schon versucht, über das Wirken des Malers Max Pechstein (1881-1955) (Wiki) zwischen 1920 und 1945 in Pommern einen Bezug zu diesem Land herzustellen (Prbl2022).

Abb. 5: Winterlandschaft - Gemälde von Otto Priebe (um 1928) (Mus.) (Privatbesitz)

2010 und 2012 erschienen zwei Bände des Buches "Maler, Orte und Landschaften in Hinterpommern in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts". Autorin war Edda Gutsche. Wir können über das Buch erfahren (Biblio):

Es stellt Künstler vor, die entweder aus Pommern stammten oder sich zeitweilig dort aufhielten. Fast alle waren Landschaftsmaler, doch ihre Lebenswege verliefen sehr unterschiedlich. Die meisten pommerschen Künstler waren nur regional bekannt und sind heute so gut wie vergessen. Von den Malern, die ihre Sommermonate in Pommern verbrachten, erlangten einige Weltruhm. Mit welchen Orten waren sie besonders verbunden und was ist noch da von ihren Werken?

Über die Geschichte der Kunst in Stolp und in Pommern gibt es auch sonst schon allerhand neuere Literatur (5-8). Bei Gelegenheit wollen wir sie durchsehen und dann den vorliegenden Beitrag um weitere Angaben ergänzen.

Abb. 6: Stolpmünder Fischer - gezeichnet von Otto Priebe

An dieser Stelle begnügen wir uns zunächst mit dem Hinweis auf Otto Priebe. Er stammte aus Schlawe in Pommern. Das ist ein Städtchen 30 Kilometer südwestlich von Stolp.

Abb. 7: Pommersches Bauernmädel - Otto Priebe (1920)

Seine künstlerische Ausbildung erhielt er im München nach der Jahrhundertwende. Kunstreisen hatten ihn nach Frankreich und Italien geführt. Als der Erste Weltkrieg kam, ist Otto Priebe - wie die meisten Männer seiner Generation - Soldat geworden. Als solcher kämpfte er an der Westfront. Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges hat es Zeichnungen gegeben, die er während des Ersten Weltkrieges im Schützengraben anfertigte. Auch die Kathedrale in Reims soll er dabei gezeichnet haben. Seit 1945 sind diese Zeichnungen verschollen. Ein damals entstandenes Portrait eines Regimentskameraden ist immerhin inzwischen aufgetaucht (Stolp.de).

Abb. 7: Fischerboote - Otto Priebe

Als freischaffender Künstler kam Otto Priebe 1919 zurück nach Stolp in Pommern, seine Heimat, wo er sicherlich auch eine weitreichende Verwandtschaft besaß.  Otto Priebe wurde Mitglied des Städtischen Kunstvereins von Stolp.

Abb. 8: Die Fischer von Stolp - Gemälde von Otto Priebe

1920 etwa entstand ein Porträt seines zweitältesten Bruders, nämlich von Hugo Priebe. Es stellt ihn in Offiziersuniform dar. Es hat das Jahr 1945 ebenso überstanden wie ein Porträt der Ehefrau von Hugo Priebe, nämlich von Alma Priebe. Beide Gemälde wurden von der Tochter dem Heimatmuseum Stolp in Bonn geschenkt (Museum Stolp):

Weitere Porträts, die ihr Onkel gemalt hatte, sind im Krieg verschollen, genau wie er selbst. Er wurde beim Einmarsch der sowjetischen Truppen "abgeholt" und nach einigen Wochen Haft Ende März ins Sammellager nach Graudenz verladen. Von dort gingen Transporte nach Sibirien. Otto Priebe soll im Juli 1945 am Ural gestorben sein.

Ergänzung (6.8.23): Ein anderer Bernsteinfund ist das Woldenberger Bernsteinpferdchen (Woldbg2011) aus der Neumark, dem vormaligen östlichsten Teil der Mark Brandenburg. Es wurde 1858 gefunden und bis 1945 in der Wissenschaft erörtert und der Zeit um 3000 v. Ztr. zugeordnet. Richtiger wird aber die heutige Datierung laut dem Museum für Vor- und Frühgeschichte in Berlin (Wiki):

Pferdefigur, Bernstein. (Nachbildung). Original zur Zeit als Kriegsbeute in Rußland. Woldenberg (Dobiegniew, Polen). Jüngere Altsteinzeit, Magdalénien. Ca. 18.000-12.000 v. Ztr..

Abb. 9: Woldenberger Bernsteinpferdchen (Wiki) - (Fotograf: Einsamer Schütze)

 

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  1. Pommern. Aufgenommen von der Staatlichen Bildstelle. Eingeleitet von Martin Wehrmann. Beschrieben von Fritz Adler, Carl Fredrich und Otto Schmitt. Deutscher Kunstverlag, Berlin 1927 (GB), erneut 2020 (GB)
  2. Capar, Łukasz: Die Kreuzigungsgruppe in der Marienkirche - Eine Perle der Bildhauerkunst in Stolp, 2009 (gp24.pl
  3. Tomczyk, Jan Feliks: Die Kreuzigungsgruppe, 2020, https://polska-org.pl/8594589,foto.html  
  4. Stolper Heft 2021, herausgegeben vom "Stolper Heimatkreis e.V.", Seite 110
  5. Gwiazdowska-Banaszek, Ewa: "Echte deutsche" oder "echte pommersche" Kunst 1933 bis 1945. In: Hartel, Brigitte (Hg.): Architektur und bildende Kunst von 1933 bis 1945 (Kunst im Ostseeraum; Band 2), Frankfurt am Main 1997, S. 133 bis 1942 (pdf
  6. Edda Gutsche: Maler, Orte und Landschaften in Hinterpommern in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert. Pruszcz Gdanski : Wydawn Jasne (Zweisprachige Ausgabe: deutsch/polnisch) 2010, 2012 (199 S.) (behandelt im 1. Teil: Dahlen Paul; Dekkert Eugen; Feininger Lyonel; Gross Wilhelm; Grosz George; Hardow Rudolf; Hartig Hans; Holz Paul; Kuhfuss Paul; Kuske Otto; Laabs Hans; Lang-Wollin Otto; Levin Julo; Machemehl Günter; Meister Alfred; Neuss-Stubbe Margarete; Pechstein Hermann Max; Priebe Otto; Rades Hedwig; Reich an der Stolpe Siegfried; Schmidt-Rottluff Karl; Wimmer Gustav; Zenke Richard; Zitzewitz Heinrich Eugen von; im 2. Teil: Ulrich Bewersdorff, Gottfried Brockmann, Martin Gscheidel, Max Kühn, Rudolf Muchow, Elfriede Springer, Paul Stubbe, Julius C. Turner, u.a.)
  7. Isabel Sellheim, Gabriela Włodarska, Ilona Zwierz: Słupsk i Pomorze w rysunku i grafice Rudolfa Hardowa. Wydanie: Kluki, maj-czerwiec 2006 Oprawa: miękka, wersja polsko-niemiecka
  8. Andrzej Czarnik: Pomorskie plenery Maxa Pechsteina. Deutscher Text von Isabell Sellheim, Pommersche Pädagogische Akademie (Pomorska Akademia Pedagogiczna) Stolp 2003