Dienstag, 20. November 2018

Neuruppin - Als es noch von der Einheit Deutschlands beseelt gewesen ist


Zwei fast vergessene Kapitel der Stadtgeschichte: Der Neuruppiner Stadtpark (1834) und sein Jahn-Gedenkstein (1911)

- Irrlichternd flackert eine merkwürdig aufrecht anmutende Vergangenheit in eine halt-, form- und seelenlos wirkende Gegenwart hinein

Seit dem Jahr 1830 war ein Oberst Alexander von Wulffen (1784-1861)(Wiki) Kommandeur des in Neuruppin stationierten preußischen Grenadier-Regimentes. Als solcher war er quasi Nachfolger des Kronprinzen Friedrich, der denselben Posten hundert Jahre zuvor inne gehabt hatte. Und so wie sein berühmter Vorgänger fühlte sich auch Alexander von Wulffen verpflichtet, sich ein verschönertes Stadtbild seiner Garnisonsstadt angelegen sein zu lassen. Der Kronprinz hatte hundert Jahre zuvor die bewaldeten Stadtwälle vor der Stadt vor der Rodung bewahrt und vor den südwestlichen Stadtmauern seinen berühmten Tempelgarten angelegt (1). Sein Nachfolger gründete hundert Jahre später einen "Verschönerungsverein" und legte vor dem nördlichen Stadtrand am Seeufer ebenfalls einen Garten an, den Neuruppiner Stadtpark (Abb. 1 bis 3). Heute ist dieser Stadtpark sehr verwildert und kaum noch wahrnehmbar als ein einstiger "vornehmer" Ausflugsort des einstigen "Luftkurortes" Neuruppin. Er ist kaum unterscheidbar vom umgebenden Wald. Damals war es anders. Wir erfahren (Wiki):
Auf Alexander von Wulffens Initiative entstand aus einem Schießstand heraus ab dem Jahr 1834 der Neuruppiner Stadtpark. Der Teich wurde 1835 angelegt. Zur Gestaltung des Parks gab Peter Joseph Lenné Vorschläge. Ein Gedenkstein erinnert dort an Alexander von Wulffen. Wulffen rief 1835 den Neuruppiner Verschönerungsverein ins Leben und wurde 1852 mit der Ehrenbürgerwürde von Neuruppin geehrt. Auch wurde die Wulffenstraße nach ihm benannt.

Abb. 1: Stadtpark Neuruppin, Postkarte wohl aus der Zeit vor 1914
 
Der hier erwähnte Peter Joseph Lenné (1789-1866)(Wiki) war der berühmte preußische Gartenkünstler, der damalige General-Gartendirektor der königlich-preußischen Gärten (Wiki):
Charakteristische Merkmale seiner Landschaftsgestaltungen sind die vielfältigen Sichtachsen, mit denen er vor allem in Potsdam die einzelnen Parkanlagen optisch miteinander verband und so die Bauwerke der Parkanlagen wirkungsvoll in Szene setzte. 
Zu solchen wunderschönen Sichtachsen scheint man sich bei der Gestaltung des Stadtparks von Neuruppin nicht aufgeschwungen zu haben. Immerhin (2):
Im Zuge der Umgestaltung des Areals nach 1839 in einen Stadtpark waren in der Teichumgebung Rasenflächen vergrößert und Schmuckanlagen angelegt worden. 
Hierzu war Lenné angeschrieben und um Rat gefragt worden so wie das in jener Zeit viele Menschen taten, die in Preußen neue Gärten anlegten (2). Welche Gestaltungselemente im Neuruppiner Stadtpark auf Lenné zurück gehen, ist vorderhand schwer heraus zu bekommen.

Abb. 2: Der Stadtpark - Am Goldfischteich, 1961

Immerhin sei zu dem Obersten von Wulffen noch erwähnt, daß seine beiden Ehen mit insgesamt 13 Kindern gesegnet waren. In diesem Punkt unterschied er sich deutlicher von seinem kronprinzlichen Vorgänger.

Abb. 3: "Neuruppin - Luftkurort - Stadtpark - Birkenallee" (Postkarte um 1927)

Als Neuruppin im Jahr 1927 das Recht zugesprochen erhielt, sich "Luftkurort" nennen zu dürfen, sah man auch die schon von von Wulffen geschaffene "Birkenallee" von der Stadt zum Stadtpark in neuem Licht (s. Abb. 3). Diese Birkenallee gibt es noch heute und zeugt von dem Schönheitssinn vergangener Generationen. Heute führt sie zu größeren Teilen durch Kleingarten-Kolonien hindurch, die auch den einstigen Stadtpark - allerdings unschön - umgeben. Die Birkenallee verläuft spitz auf die Wulffenstraße zu, die - wie oben erwähnt - ihren Namen zu Ehren des Begründers des Stadtparkes erhalten hat.

Jedenfalls: In dem Stadtpark ist es noch erahnbar, daß einst ein beseelteres, von Schönheitswillen erfülltes Bürgertum Gestalter desselben gewesen ist.

Der Jahn-Gedenkstein


Zwischen den Jahren 1907 und 1911 wurde in Neuruppin ein Gedenkstein für den "Turnvater" Friedrich Ludwig Jahn (1778-1852) (Wiki) und für seinen örtlichen Vertreter, den Lehrer und Turnlehrer Carl Loose, errichtet (Abb. 4 und 5). Dieser Gedenkstein hat sich bis heute erhalten (Abb. 6, 7 und 8). Er hat aber heute auch von seinen Sinnzusammenhängen her einen ganz anderen Charakter und eine ganz andere Aussage als sie jener Gedenkstein hatte, der im Jahr 1911 geschaffen worden war. Im folgenden soll deshalb seine Geschichte - insbesondere auch anhand der Abbildungen (Abb. 4 bis 8) skizziert werden. Denn heute steht er etwas beziehungslos und ohne jede Erläuterungstafel am Rande des Stadtparkes und vor dem dortige Jahn-Seeufer-Bad.

Geschaffen worden ist dieser Gedenkstein einstmals von jenem namhaften Neuruppiner Bildhauer Max Wiese (1846-1925) (Wiki), der die meisten Denkmäler in Neuruppin und auch in seiner Umgebung um die Jahrhundertwende geschaffen hat. Wir erfahren (3, S. 50):
1907 beschloß der Gauturntag in Neuruppin, den verdienstvollen, um die Förderung des Turnens bemühten Männern Friedrich Ludwig Jahn und Carl Loose ein Denkmal zu schaffen. Die Wahl des Standortes erwies sich zunächst kontrovers: der Stadtpark, die Bahnhofstraße standen zur Diskussion.
Der Magistrat einigte sich dann aber auf die Parkstraße vor dem damaligen Knaben-Doppel-Schulhaus, dem Friedrich-Wilhelm-Gymnasium, einem Gebäude, das heute in DDR-Art Puschkin-Schule benannt wird, obwohl man es gut und gerne auch wieder hätte zurück benennenen können in Friedrich-Wilhelm-Gymnasium (wie übrigens auch sonst viele Straßennamen in Neuruppin). Es ist zu erfahren (4):
In Erinnerung an den Turnvater Jahn und den Mitbegründer des Neuruppiner Männerturnvereins und der Neuruppiner Turnerfeuerwehr, den Lehrer Karl Loose entstand von Max Wiese 1911 das Jahn-Loose-Denkmal.
Bis in die Zeit nach 1945 hat es also in der Parkanlage der Parkstraße (heute "Puschkinsstraße" genannt) vor dem Gymnasium, heute "Puschkin-Schule" genannt, gestanden (Abb. 4 und 5). In seiner Form war es gewiß eine "markige" Erinnerung an die Geschichte des Turnerbundes und vor allem auch an die Geschichte des Turnens in Neuruppin. 

Abb. 4: Jahn-Loose-Stein (Postkarte)

Dieser Gedenkstein erhielt allerdings nach 1945 - im geteilten Deutschland - eine völlig neue Aussage und einen völlig neuen Charakter. Offenbar ergaben sich diese dadurch, daß das ursprünglich geschaffene Metall-Relief und das darüber angebrachte Turnerkreuz irgenwann abhanden gekommen waren, daß man aber dennoch - m Sinne des DDR-Patriotismus jener Jahre - auf einen Jahn-Gedenkstein nicht verzichten wollte. Entweder war das Metall der Reliefs im Zweiten Weltkrieg gebraucht worden oder die Tafeln sind in der Zeit nach 1945 gestohlen worden.

Abb. 5: Jahn-Loose-Denkmal

Heute jedenfalls sind an der Stelle, wo vormals das Turnerkreuz (F-F-F-F für "Frisch, fromm, fröhlich, frei") (Wiki) zu sehen war, im Stein nur noch die leeren Vertiefungen zu sehen, die einstmals für die Anbringung desselben dienten.


Abb. 6: Friedrich-Ludwig-Jahn-Denkmal

Während der DDR-Zeit - und auch seither - fühlte sich offenbar niemand bemüßigt, den ursprünglichen Zustand dieses Gedenksteines wieder herzustellen. Unter die genannte leere Stelle ist heute - anstelle des von Max Wiese geschaffenen Portrait-Reliefs - wiederum eine Metall-Tafel angebracht worden. Sie enthält die Worte des Turnvaters Jahn:

"Ich kenne keine Zeit, wo ich nicht
von der Einheit Deutschlands 
beseelt gewesen bin."

Wenn man diese Worte unvermittelt liest, stehend am fast verwahrlosten Rand des fast verwahrlosten Stadtparkes von Neuruppin, fühlt man sich mit einem male in eine ganz andere Welt versetzt, in die Welt des Turnvaters Jahn des 19. Jahrhunderts und - wie man nach Studium erfährt - in die Welt der DDR vermutlich der frühen 1950er Jahre. Das Erbe des Turnvaters Jahn ist von der DDR sehr in Ehren gehalten worden. Noch im Jahr 1977 hat die DDR eine Briefmarke mit einem Porträt von Friedrich Ludwig Jahn heraus gegeben. 

Abb. 7: Jahn-Stein vor dem Jahn-Bad, November 2018

Und so war es naheliegend, daß man den Jahn-Gedenkstein wieder restaurierte, allerdings diesmal mit einer grundsätzlicheren Aussage, einer Aussage, die - im Gegensatz zum Jahr 1911 - wieder außerordentlich fragwürdig - und für die damaligen Menschen dringlich - geworden war. Auf der Rückseite des Steines findet sich heute zusätzlich nur noch eine - sicherlich ebenfalls erst nach 1945 geschaffene - kleine metallene Gedenk-Plakete mit dem Namen "Friedrich Ludwig Jahn " und mit seinen Geburts- und Sterbejahren. Diese Rückseite ist auch auf einer Postkarte aus der Zeit nach 1945 - quasi als Vorderseite - zu sehen (Abb. 6, links oben).

Noch später scheint der alte, graue Stein dann - so wie es schon einmal 1911 erwogen worden war - in die Nähe des Neuruppiner Stadtparkes umgesetzt worden zu sein, nämlich vor das in früheren Nachkriegsjahrzehnten viel mehr genutzte und bei einer früheren Generation sehr beliebte und in sehr guter Erinnerung gebliebene "Jahnbad" am Seeufer. Heute steht der Gedenkstein dort etwas, nun, "abseitig" und unbeachtet, ja, fast ohne Bezüge zur Umgebung in der Gegend herum.

Klar ist: Friedrich Ludwig Jahn verkörperte im 19. Jahrhundert den Gedanken an die "Einheit Deutschlands" wie wenige andere. Der Gedanke von der "Einheit Deutschlands" war in den Jahren bis 1848 und bis zur Erfüllung desselben durch Otto von Bismarck zwischen den Jahren 1866 und 1871 mehr als ein revolutionärer denn als ein konservativer Gedanke empfunden worden. Der Revolutionär und Turnvater Jahn ist um die Bewerbung dieses Gedankens willen in preußischen Gefängnissen als politischer Gefangener gesessen. Jahn berichtet selbst über seine Jugendzeit (5, S. 16):
Noch ehe ich nach Salzwedel auf die Schule kam, war ich mit Hopfenbauern in Lübeck, Wismar und Rostock gewesen. Aus dieser Jugendzeit stammen meine Begriffe von der Ganzheit meines Volkes.
Und entsprechend schrieb er 1846 in einem Brief an einen August Ravenstein (5, S. 16):
Den Begriff der Einheit Deutschlands habe ich mir angelebt und eingelebt. Ich kenne keine Zeit, wo ich nicht von ihm beseelt gewesen. 
Ohne Frage gehen die Worte auf dem heutigen Neuruppiner Jahn-Stein auf diese Worte im Brief von 1846 zurück. Es gibt auch noch ähnliche Worte von Friedrich Ludwig Jahn, die gerne zitiert werden, wenn an ihn erinnert wird und man seiner gedenkt. Sie sind im Zusammenhang mit den politisch hochgehenden Emotionen des Revolutionsjahres 1848 verfaßt worden und sind enthalten in einer Schrift, die als Jahns "Schwanenrede" bekannt wurde. In dieser schreibt Friedrich Ludwig Jahn 1848 am Ende (6):
Jahn hatte für Verfassung geschrieben und geredet, für Deutschlands Einheit. Ja, für diesen Hochgedanken habe ich gelebt und gestrebt, gestritten und gelitten. Anerkannt haben das die Mainzer Untersuchungsbehörde und der Bundestag. Beide haben mir nachgerühmt, "daß ich die höchstgefährliche Lehre von der Einheit Deutschlands zuerst aufgebracht". Das sollte meine Grabschrift werden, wenn meinen Gebeinen in Deutschland noch ein Plätzchen vergönnt wird: Deutschlands Einheit war der Traum meines erwachenden Lebens, das Morgenroth meiner Jugend, der Sonnenschein der Manneskraft, und ist jetzt der Abendstern der mir zur ewigen Ruhe winkt.

Abb. 8: Jahn-Stein vor dem Jahn-Bad, November 2018 - Linker Hand liegt der Stadtpark (eigene Aufnahme)


Natürlich hat Friedrich Ludwig Jahn - wie die Gründerväter des Grundgesetzes und wie womöglich auch viele DDR-Deutsche - von einem Deutschland geträumt "einig in seinen Stämmen, von dem Willen beseelt, sein Reich in Freiheit und Gerechtigkeit zu erneuen und zu festigen, dem inneren und dem äußeren Frieden zu dienen und den gesellschaftlichen Fortschritt zu fördern", anstatt es einer Vermerkel- und Vergaukelung anheim fallen zu lassen, die sprichwörtlich grenzen- und bodenlos beschämend und abartig sind.

Der Turnvater Jahn hätte angesichts solcher heutiger Zustände die Forke aus dem Kuhstall geholt. So viel mag gewiß sein. - Was für eine wechselvolle Geschichte, aufzeigbar nur allein an einem heute unaufällig und beziehungslos im Wald herum stehenden Gedenkstein.
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  1. Bading, Ingo: Der Amalthea-Garten in Neuruppin Ein edler Rokoko-Garten im Sinne Friedrichs des Großen sieht anders aus als die heutige Gestaltung des Gartens. Preußen lebt!, 23. Dezember 2017, https://preussenlebt.blogspot.com/2017/12/der-amalthea-garten-in-neuruppin.html
  2. Karg, Detlef: Peter Joseph Lenné - Parks und Gärten im Land Brandenburg. Werkverzeichnis. Wernersche Verlagsgesellschaft, 2005 (342 Seiten) (GB)
  3. Irina Rockel: Neuruppin, so wie es war.  
  4. Seebadeanstalt "Jahnbad" Neuruppin, Historie. https://www.seebadeanstalt-neuruppin.de/seite/121506/historie.html
  5. Euler, Carl: Friedrich Ludwig Jahn. Sein Leben und Wirken C. Krabbe, 1881 (634 S.) 
  6. Magdeburgische Zeitung: Anhalter Anzeiger. 1848, 10/12 - Seite 4  Jahns Schwanenrede (GB)
  7. https://www.neuruppiner-verschoenerungsverein.de/vereinsmitgliedschaft/

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