Freitag, 17. Juni 2022

Pommern heute - Ein Fahrtbericht

Stolp und Ostseebad Rowe  
- Acht Tage Pommernurlaub, Juni 2022

Samstag, 4. Juni: Fahrt mit dem Auto über Stettin und Stolp zu der gemieteten Ferienwohnung am Ortsrand des Ostseebads Rowe. 

Schon seit Monaten war davon die Rede, das Land der Vorfahren einmal besuchen zu wollen. Endlich die Umsetzung.

Abb. 1: Ostseestrand bei Schönwalde in Pommern - Blick nach Süden, Richtung Stolpmünde (polnisch heißt Schönwalde Dębina)

Der Maler Max Pechstein hat zwischen 1927 und 1945 in Rowe viele Monate malend und wandernd verbracht (Pr2022). Ein Grund für die Wahl dieses Urlaubsortes. Von hier aus kann man den Revekol sehen, einen der höchsten Berge Pommerns. Er findet sich auf vielen Bildern von Max Pechstein. Rowe selbst liegt auch nicht weit von der Stadt Stolp entfernt, in der Vorfahren gelebt haben. 

Rowe

Auf den bedeutenden europäischen Maler Max Pechstein fanden sich im Ortszentrum des heutigen Ostseebades Rowe nirgendwo auffallendere Hinweise. Womöglich müßte man sich dieserhalben noch längere Zeit umsehen.

Rowe als Ortschaft ist häßlich. Bunt zusammen gewürfelte Hotelbauten und ein Jahrmarkts-Rummel als Einkaufsstraße. Nur die bescheidene alte Kirche, gelegen inmitten dieses strukturlosen Durcheinanders vermittelt einen Eindruck von dem Dörfchen in der Zeit vor 1945, das ja Gegenstand zahlreicher berühmter Gemälde von Max Pechstein und anderer Maler ist. 

Im Gegensatz zum Zustand vor 1945 (Pr2022) ist das vormals schöne Flußbett der Lupow innerhalb von Rowe und bei der Mündung ins Meer einbetoniert. Dabei entstand ein kleiner Hafen. Er wirkt aber eher wie der Hinterhof eines herunter gekommenen Industrieunternehmens. Alte Bauernhäuser scheint es Rowe kaum noch zu geben. Das Ortszentrum mit dem Jahrmarkts-Rummel möchte man meiden. Es erinnert in so gut wie nichts mehr an das Rowe aus der Zeit vor 1945. Es war einer der unfreundlichsten Orte der ganzen Reise. 

Der erste Tag brachte eine Wanderung durch den Wald zum Strand, am Strand entlang nach Rowe und durch das Ortszentrum zum wunderschönen, einsam gelegenen Garder See. Von dort dann abends zurück zur Ferienwohnung am südlichen Ende des heutigen Rowe. 

Jahrtausende lang hat sich die Ostseeschiffahrt am weithin sichtbaren Revekol orientiert. Er ragt südlich des Garder See's auf (1). Der Garder See, der für Schiffe von der Ostsee aus über die Lupow zu erreichen war, wurde von diesen gerne bei stärkeren Stürmen aufgesucht. Er galt im Mittelalter als Seeräuber-Versteck.

Der folgende Tag (Sonntag, 5. Juni): Fahrt mit dem Auto durch Rowe über die Brücke auf die andere Seite der Lupow, Wanderung den Strand entlang nach Nordosten. Herrlicher, einsamer Strand. Sonnenbrand vorprogrammiert (Abb. 6). Auf dem Rückweg durch den Wald eine schön angelegte Aussichtsplattform. Von ihr blickt man über den einsamen Garder See. Eine Urlaubsregion, die sehr beliebt ist. Im Wald gibt es viele Fahrradfahrer.

Montag, 6. Juni: Ostseestrand in Schönwalde (Abb. 1), ein Dorf südlich von Rowe. Schönwalde hat - im Gegensatz zu Rowe - viele schöne Ecken, erhaltene, alte Gebäude, aber mitunter sogar schöne, neu errichtete Gebäude. Der Strand ist vom Parkplatz am Ortsrand in nur fünf Minuten zu erreichen. Geprägt ist er von einer eindrucksvollen Steilküste, bewachsen von herrlichem Buchenwald.

Wobesde, Weitenhagen, Stolpmünde

Dienstag, 7. Juni: Fahrt nach Stolpmünde (G-Maps). 

Abb. 2: Kriegerehrenmal in Wobesde in Pommern für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges - Offenbar erst seit wenigen Jahren restauriert und wieder hergestellt

Zu Anfang durchfährt man das Dorf Wobesde (Wiki). In seinen Gebäuden ähnelt es einem ganz normalen deutschen Straßendorf. Es wirkt nur ein wenig mehr herunter gekommen als das heute "im Westen" noch der Fall ist. Da es noch heute so unglaublich wenig in deutscher Sprache in Pommern zu finden gibt, große Überraschung, auf ein wiederhergestelltes Ehrenmal zum Gedenken der Gefallenen des Ersten Weltkrieges aus der Gemeinde Wobesde vor der ebenfalls schön restaurierten Kirche zu stoßen (Abb. 2). Hinter der Kirche ist - unzugänglich - der ausgedehnte, schöne Gustpark gelegen. Er erstreckt sich bis zu einem großen Gutshaus, das sich aber - verfallen und unzugänglich - innerhalb eines eingezäunten Grundstücks befindet. Die Strukturen des Gutshofes und seiner vielen wirtschaftlichen Nebengebäude sind gut zu erkennen.

Bis 1945 war hier die Gutsbesitzersfamilie Kutscher ansässig. Ihrer Familienangehörigen wird im Kirchhof neben der Kirche in neu angebrachten Gedenktafeln gedacht. Ihre Gräber waren also vermutlich zwischenzeitlich zerstört worden. Es ist naheliegend, daß Nachkommen dieser Familie das genannte Kriegerehrenmal und die Kirche haben renovieren lassen.

Ein bedeutenderer Angehöriger dieser Familie war der Oberpräsident von Ostpreußen unter der Regierung von Papen 1932/33 Wilhelm Kutscher (1876-1962) (Wiki). Bei ihm handelte es sich um einen preußischen Beamten, der auch sonst in seinem Leben hohe Ämter inne hatte. 

Ein auffallender Umstand der Dorfgeschichte ist außerdem, daß hier christliche Sekten wie die Mormonen seit 1900 viele Anhänger haben werben können, sogar durch Missionare, die in den 1920er Jahren aus den USA gekommen waren. "Abgelegenes" Pommern? Von wegen.

Abb. 3: Die Kirche von Weitenhagen in Pommern (vier Kilometer östlich von Stolpmünde)

Kurz vor Stolpmünde durchfährt man das schöne Dorf Weitenhagen (Wiki). Auch hier neben einer renovierten Fachwerkkirche (Abb. 3) ein (wieder hergestellter?) deutscher Gedenkstein für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges. 

Anrührend an Stolpmünde ist, daß es in seiner Architektur so bescheiden geblieben ist, wie es sich bis 1945 dargeboten hat. Nur als eine leichte "Firnis" ist über alles "das Polnische" gelegt. Leicht kann man sich in das Stolpmünde zurück versetzen in jene Zeit, wie es dort vor 1945 ausgesehen hat. In bei Deutschland verbliebenen Ostseebädern ist das keineswegs mehr so gut möglich wie hier. 

Stolpmünde bietet sich dar als eine sehr eigentümliche Kombination eines kleinen Fischer- und Handelsstädtchens, auch mit Lager-, Speicher- und Fabrikgebäuden einerseits und eines kleinen, mondänen Badeortes mit Strandhotels im Jugenstil der Zeit um 1900. 

Gerne möchte man hier in diese Zeit ruhiger, beschaulicher, unbeschwerter Urlaubsatmosophäre der Zeit vor 1945 hineintauchen. Viel anspruchsloser und bescheidener mutet da alles an. Auch nicht so "überlaufen", so "überdreht" und mit so viel Neubau-"Boom" wie es in den heutigen deutschen Badeorten an der Ostsee (etwa Bansin, Hennigsdorf und so weiter) der Fall ist. Und wie es auch in Rowe - freilich noch in der etwas anderen Form einer Art "Billig-Tourismus" - zu besichtigen ist.

Schönwalde und Neustrand

Mittwoch, 8. Juni: Wieder am Ostseestrand von Schönwalde. Beeindruckend immer wieder, durch den Wald zur Ostsee zu kommen, einmal versperrt durch herrliche Dünen versperrt, einmal direkt über die bewaldete Abbruchkante hinaus blickend.

Donnerstag, 9. Juni: Mit dem Auto auf einem Sandweg im Wald von Schönwalde in Richtung des Dörfchens Neustrand (Ü), dort Auto im Wald stehen gelassen und zum Strand gewandert. Neustrand leider nicht angesehen. Berichte aus der Zeit vor 1945 (Ü) zeigen, wie die Pommern in diesen Dörfern ihren Urlaub verbracht haben (Pr2022).

Groß Garde, Schmolsin, Revekol und Scholpin

Freitag, 10. Juni: Fahrt über Groß Garde (Wiki, Stolp) nach Schmolsin (Wiki). Groß Garde war ursprünglich ein Fischerdorf am Ufer des Garder Sees, herrlich gelegen. 

/ Einfügung 20.2.23: Auf Youtube findet sich eine Dokumentation zu in Pommern verbliebenen Deutschen, wobei auch eine Frau Charlotte Judaschke-Skuriat aus Groß Garde interviewt wird (3; 2'49):

"Nur fünf Familien blieben hier in Garde, Behnke, Kipert, Judaschke, Kretsch und Kowalski." 

Und (3; 5'20): 

"Bis 1945 war es ein ruhiges Dorf. Es waren nur Fischer und Landwirte hier." 

Sie geht von ihrem Haus hinunter zum Garder See und erzählt dort (3; 7'50): 

"Hier war ein großer Platz, das war ein Tanzplatz. Da hat die Jugend abends immer getanzt mit Schifferklavier. Die älteren Menschen haben gesessen und zugeguckt. Es wurde gesungen." 

Während des Zweiten Weltkrieges war das aber verboten. Denn in jeder Familie gab es Gefallene. Sie erzählt (13'20), daß sie sich 1945 am Seeufer im Kahn ihres Vaters, eines Fischers, versteckt hat, um nicht von den russischen Soldaten vergewaltigt zu werden. Schließlich wurde sie doch noch vergewaltigt und davon schwanger. Sie wollte abtreiben, aber aus Sorge, danach keine Kinder mehr bekommen zu können, tat sie es nicht. Ihre Tochter wurde dann von ihrer Schwester aufgezogen. Die Polen haben sie dann aus ihrem Haus vertrieben. Sie durften aber nicht nach Deutschland aussiedeln, da ihr Vater in der Fischereigenossenschaft gebraucht wurde. Schließlich heiratete sie einen Polen. /

Abb. 4: Blick vom Seeufer auf Groß Garde

Vor der Kirche inmitten des Ortes findet sich das Kriegerehrenmal (Stolp). Es trägt noch die deutsche Inschrift:

Wo ihr schlummert nach Gottes Rat,
künftiger Ernte blutige Saat,
nimmer vergessen im deutschen Land,
ruhet in Frieden in Gottes Hand,
dort in der Heimat bei Jesu.
Dies war eine Anfang der 1920er Jahre auf Kriegerehrenmalen in Deutschland beliebte Inschrift (GB2014). Der Verfasser derselben ist einstweilen nicht festzustellen. Auf den Kriegerehrenmalen damals wurde dieses Gedicht mal mit (Wiki, a), mal ohne (a, b) die letzte Zeile genutzt. In Groß Garde mit der letzten Zeile.

Abb. 5: Kriegerehrenmal in Groß Garde

Auf der Tafel vor der Kirche steht unter anderem (und zwar auch in deutscher Sprache):

Die am Tor wachsenden roten Eichen wurden 1910 von Kaiser Wilhelm II. persönlich eingepflanzt.

Weiter nach Schmolsin. Besteigung des 115 Meter hohen, von Max Pechstein aus vielen Richtungen gemalten Revekol (Wiki). Auf dem Aussichtsturm herrlicher Ausblick auf den zu Füßen liegenden Garder See, die Ostsee dahinter, die Dünen vor der Ostsee, auf den Lebasee und nach Südosten weit in das "Blaue Ländchen" hinein Richtung Lauenburg und in den Landkreis Stolp. Außerdem Blick auf den Verlauf der Lupow rund um den Berg herum. Die Begeisterung für diesen Ausblick, festgehalten in einer zugänglichen Schrift von 1934 (1), kann völlig geteilt werden.

Angenehme Überraschung im Restaurant Kopernika "u Bernackich" in Schmolsin. Freundlich, sauber und ordentlich geführt. Es bietet auch ein reichhaltiges und bezahlbares Angebot veganer und glutenfreier Gerichte (Wiki):

Im 19. Jahrhundert waren Scholsin und der Revekol mit seinem Aussichtsturm beliebte Ausflugsziele, auch von Sommerfrischlern, zumal das Dorf von Stolp und Stolpmünde aus leicht mit dem Fahrrad zu erreichen ist

Nachmittags in den Dünen hinterm Strand bei Scholpin (Wiki) (Abb. 6).

Abb. 6: In den Dünen an der Ostsee nordöstlich von Rowe - Oder bei Scholpin (?) (auf Polnisch heißt Scholpin Czołpino)

Samstag, 11. Juni: Abreise von Rowe. Für einige Stunden noch einmal am Strand von Schönwalde. 

Stolp

Fahrt nach Stolp. Zunächst in die Pionkestraße 11 (heute "Pogodna 4") (Abb. 7) (Pr2022). Das Zusammenbringen des Stadtplanes von 1940 mit Google Maps ist nicht ganz einfach und dauert eine Weile. 

Auf Streetview war vormals noch zu sehen war, daß das einstige Kopfsteinplaster noch bis vor wenigen Jahren erhalten war. Die ruhige Straße ist heute sehr schön erneuert. Auch die Häuser rechts und links sehen heute in der Wirklichkeit angenehmer aus als man das auf den etwas älteren Bildern auf Streetview hat erahnen können.

Abb. 7: In der Pionkestraße 11 in Stolp, einem Neubauviertel von 1936, geprägt von Einfamilienhäusern mit - ziemlich modernem - Flachdach

Klingeln am Haus der Pionkestraße 11. Es öffnet ein ziemlich alter Mann. Er kann kein Deutsch oder Englisch. Wir können kein Polnisch. Es kommt keine Verständigung zustande. Vielleicht lebt er in diesem Haus schon seit 1945, geht uns durch den Kopf. Zu jedem Haus gehört nicht nur der auf Abb. 7 erkennbare Vorgarten, sondern auch noch hinter dem Haus jeweils ein kleiner Garten. 

Das heute noch eindrucksvolle Gebäude der Blücher-Kaserne (Pr2022) angesehen.**) Schließlich in die Innenstadt gefahren. Die Schloßkirche angesehen und den Eingangsbereich des daneben gelegenen Mittelpommer'schen Landesmuseums. An öffentlichen Gebäuden gibt es in seltenen Fällen auch Erläuterungstafeln in deutscher Sprache, ebenso im Museum. So richtig herzlich willkommen geheißen fühlt man sich als Deutscher, der von der langen Kulturgeschichte Pommerns weiß und sich mit ihr identifiziert, an diesem Ort nicht. 

Man liest zum Beispiel auf der Erläuterungstafel an der Schloßkirche vom "Lutherian riot" und fragt sich, in welchem Jahrhundert man sich hier gerade befindet. Die Reformation einer "riot" zu nennen, einen "Aufruhr", eine "Randale", das klingt nicht gerade respektvoll gegenüber einer anderen Konfession. Da scheint doch noch allzu viel aus der Sichtweise des Geistes der Gegenreformation heraus formuliert zu sein.

Von einem Mittelpommer'schen Landesmuseum erwartet man sich - schon im Eingangsbereich - viel mehr Eingehen auf die einstigen deutschen Bewohner dieser Provinz. Auch viel mehr freundliche Ansprache derselben. 

In Pommern fürchtet man offenbar immer noch, daß die Deutschen, "wieder kommen" und alles zurück haben wollen.

Dann an der Stolpe entlang zu Fuß Richtung Marktplatz. Der größte Teil der alten Stadt Stolp, der Altstadt aus der Zeit vor 1945, ist vernichtet, bewußt angezündet von den russischen Truppen im Jahr 1945. Was für eine Schande. Danach ist die Stadt außerordentlich häßlich wieder aufgebaut worden. Sie kann deshalb auch als sehr anstregend erlebt werden. Das eindrucksvolle Kreishaus in Stolp an der Stolpe-Brücke steht noch und läßt ein wenig den Geist dieser Stadt in der Zeit vor 1945 erkennen. Es ist schön renoviert und lädt zum Fotografieren ein (Abb. 8).

Abb. 8: Das Kreishaus in Stolp

Der ehemalige Marktplatz von Stolp ist greulich. Wenn man es nicht wüßte, würde man gar nicht ahnen, daß dies einst der ehrwürdige Marktplatz einer uralten deutschen Stadt gewesen ist, Jahrhunderte lang der Mittelpunkt des Lebens der Menschen vor Ort. Rundum häßliche, nichtssagende Neubauten. 

Ebenso rund um die Marienkirche, die nur wenige Meter zu Fuß entfernt liegt. Nur die Marienkirche selbst - sie steht uralt, breit, behäbig und ehrwürdig, liebenswert wie eh und je inmitten all dieser städtebaulichen, schändlichsten Kulturwüste (Abb. 9).

Abb. 9: Die Marienkirche in Stolp

Dann das Haus des Maurers Willi Blum und seiner Frau Minna, geborene Domke aufgesucht (Pr2022). Sie wohnten zwischen 1914 und 1936 in der Großen Auckerstraße 38 in Stolp (Abb. 10).

Abb. 10: Die Große Auckerstraße 38 in Stolp (Blick nach Osten)

Der heutigen Großen Auckerstraße ist anzusehen, daß dort auch schon vor 1945 eher Handwerker und Arbeiter wohnhaft waren. Sie führt an ihrem Ende direkt ins Grüne der Flußaue der Stolpe. Falls die Hausnummer aus der Zeit vor 1945 beibehalten worden sein sollten, befindet sich in der "Großen Auckerstraße 38" heute im Erdgeschoß ein Friseurgeschäft.

Abb. 11: Die Große Auckerstraße in Stolp mit Blick nach Westen auf die zu ihr quer verlaufende Bütower Straße - Rechts die - einstige - Luther-Kirche

Die Große Auckerstraße ist vom Schloß (heute Mittelpommersches Landesmuseum) und seiner Schloßkirche in fünf bis zehn Minuten Fußweg zu erreichen. Richtung Osten (Abb. 12) waren das Schwimmbad und die Schrebergärten in der Stolpe-Niederung, ebenfalls nicht weit entfernt.

Abb. 12: Die Große Auckerstraße in Stolp mit Blick Richtung Osten (Richtung Stolpe-Niederung)

Dann das Wohnhaus des Lehrers Nemitz und seiner Frau Minna und ihrer drei Kinder aufgesucht, nämlich in der Goethestraße 2, das Haus, in dem sie zwischen etwa 1901 und 1935 gelebt haben (Abb. 13) (Pr2022).

Abb. 13: Goethestraße 2 in Stolp (heute "Władysława Reymonta 2")

Sollten die Hausnummern aus der Zeit vor 1945 beibehalten worden sein, dann handelt es sich um das Haus in Abb. 13, das heute von allen Häusern in dieser Straße das sorgfältigst renovierte ist, ähnlich wie die vormalige 3. Gemeindeschule in der Friedrichstraße gleich um die Ecke (Abb. 15). 

Ansonsten atmet die Goethestraße heute den "Charme" eines ein wenig herunter gekommenen Stadtviertels.***)

Abb. 14: Ecke Schillerstraße/Goethestraße in Stolp mit Blick nach Süden in die Schillerstraße - Das große spitze Dach, ebenso wie das kleine im Hintergrund gehören zu Bürgerhäusern

Gleich um die Ecke in der Friedrichstraße findet sich überraschenderweise die ehemalige Gemeindeschule 3 (Abb. 15). An ihr hat der Lehrer Nemitz zwischen 1901 und 1914, sowie im Jahr 1916 als Lehrer gewirkt. Auf diese Schule werden auch seine drei Kinder in den ersten Schuljahren gegangen sein. Das große eindrucksvolle Gebäude wird bis heute als Schule genutzt.

Abb. 15: Die ehemalige Gemeindeschule 3 in Stolp in der Friedrichstraße, an der Ecke zur Goethestraße

Mit keinem Wort wird auf den zahlreichen Tafeln rund um das Portal der Schule der Geschichte dieser Schule in deutscher Zeit gedacht.

Gegenüber von der Gemeindeschule 3 findet sich ein - noch heute gelber - Bau. Er beherbergte 1940 - laut damaligem Stadtplan - das Finanzamt. Wenn dies das Finanzamt war, dann fand es damals noch in einem vergleichsweise kleinen Gebäude Platz. Heute ist darin eine Polizeistation untergebracht.

Klein Strellin und Zanow

Der Aufenthalt in Stolp und das Zurechtfinden in seinen bunten Mischmach von zugleich fremden und bekannten Straßen war sehr anstrengend. 

Übernachtung von Samstag auf Sonntag in einer schönen, ruhigen Ferienwohnung in Klein Strellin. Dies ist ein ehemaliges, kleines Bauerndörfchen einige Kilometer außerhalb von Stolp. Dort waren auch zwei Fahrradfahrer untergekommen. Sie befanden sich auf einer Tour von Swinemünde bis zur Halbinsel Hela. Einer von ihnen konnte recht gut Deutsch, arbeitete als Architekt in Berlin. Er fragte ein wenig besorgt, wie uns der Aufenthalt in Pommern gefallen habe. Sehr gut, antworteten wir. Ansonsten sind wir nur sehr wenigen Polen begegnet, die Deutsch oder Englisch sprechen konnten. Es ist sehr geraten, auf einer solchen Fahrt die Google Übersetzer-App zu nutzen, die den Austausch vermutlich vereinfacht hätte.

Auf der Rückfahrt am nächsten Tag Durchfahrt durch das Städtchen Zanow (Wiki) (Abb. 16), kurz vor Köslin.

Abb. 16: Ortsdurchfahrt Zanow in Pommern

Pommern. "Gleich hinter Berlin". Gar nicht weit weg. 

Wer glaubt, daß es auf die Deutschen in der Weltgeschichte nicht ankommt, wer glaubt, die Weltgeschichte hätte eh keinen Sinn, ebensowenig wie das Leben einen allgemein gültigeren Sinn hat, der muß die Lieblosigkeit nicht beachten und nicht auf sich wirken lassen, die ein sehr vorherrschendes Element in der Völkergeschichte der letzten hundert Jahre gewesen zu sein scheint. Schließen wir mit dem deutschen Dichter Ernst Bertram (1884-1957) (Wiki):

Aber erst Gräber
Schaffen Heimat.
Erst unsre Toten
Geben uns Licht.
 
Erst wo auf Hügeln
Klagende knien,
Erst über Särgen
Werdet ihr Volk.
 
Erst wo auf Trümmern
Herrlichen Erbes
Ihr in Euch einkehrt,
Werdet ihr Licht.

 

/ leicht überarbeitet: 
20.2.23 /

________

*) Die heutige Straße "Pogodna" führt nämlich nicht mehr hindurch bis zur einstigen Kattenborn-Straße im Norden, sondern in einem Bogen nach Westen bis zum vormaligen Reiterweg. Der Bebauung nach zu schließen, könnte diese Straßenführung noch während des Zweiten Weltkrieges entstanden sein. 
**) Dieses suchten wir ebenfalls zunächst am ganz falschen Ort. Es findet sich in der ehemaligen Blücher-Straße, nicht in der Nähe des ehemaligen Regiments-Sportplatzes, wo wir es irrtümlich zuvor verortet hatten.
***) Gegenüber von Goethestraße 2 befindet sich heute ein Laden des Rotlichtmilieu's, von denen es gleich mehrere in den umliegenden Straßen gibt.
________
  1. Bading, I.: Am Garder See in Pommern, 5.6.2022, https://youtu.be/b1x3zQ_h738
  2. Witt, Walter: Der Revekol und seine Umgebung in vor- und frühgeschichtlicher Zeit, Stolp i. Pommern o.J. [1934?], http://bibliotekacyfrowa.eu/dlibra/doccontent?id=38235
  3. Majerski, Michael: Meiner Mutter Land / I was once a German, Arkonafilm 2022, https://youtu.be/vfegWSKiivg

3 Kommentare:

  1. Ähnliche Eindrücke hatten wir vor 30 Jahren auf solchen Reisen, fast alle ohne den Rückblich auf Familiengeschichte, aber mit dem Wunsch unterwegs, die Geschichte erfühlen zu können. Aber es gelang nicht gut, die Zäsur ist zu gross. Der Landverlust ist wie eine Amputation.

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  2. Geschichte erfühlen kann auch im verbliebenen Rest-Deutschland schwer sein.

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  3. Ich stelle gerade fest, daß man über Beteiligung in Facebook-Gruppen wie "Pommern - Auf den Spuren der Vorfahren" sehr SCHNELL einen persönlicheren und direkteren Bezug zu Pommern und seinen vormaligen deutschen Bewohnern gewinnen kann. Es findet dort ein recht lebhafter Austausch statt: https://www.facebook.com/groups/350655538632879

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