Mittwoch, 26. Oktober 2022

Kulturgeschichte zwischen Kyritz und Neuruppin

Einige flüchtige Einblicke

Über die Zeiten hinweg ändert sich der Charakter, das Stimmungsbild einer Stadt.

Auf weniger bekannten historischen Fotografien und über künstlerisches Schaffen taucht man in Zeiten ab, die längst vergangen sind. Dies sei im folgenden für die Region zwischen Kyritz und Neuruppin unternommen.

Der Blogbeitrag soll nach und nach ergänzt werden.

Abb. 1: Die frühere Friedrich-Wilhelm-Straße, Ecke Schulplatz mit Krieger-Denkmal (Neuruppin), 1940

Das Kriegerdenkmal, das bis 1944 auf dem zentralen Schulplatz an die Gefallenen des Ersten Weltkrieges erinnerte (Abb. 1), war von dem Neuruppiner Bildhauer Max Wiese (1846-1925) (Wiki) geschaffen worden, der die meisten Skulpturen in Neuruppin und seiner Umgegend um die Jahrhundertwende geschaffen hat (Prbl2018). 1944 wurden seine Metallteile für die Kriegsführung eingeschmolzen.

Abb. 2: Die See-Kaserne in Neuruppin, heute Gerichtsgebäude und Altersheim

In Gebäuden der See-Kaserne befindet sich heute das Landgericht (?) (links) und ein Altersheim (gegenüber) (Abb. 2). 

Der freie Platz des Kasernen-Hofes ist erhalten geblieben. Sein "Sinn" wird erst durch solche historischen Aufnahmen verstehbar.

Abb. 3: Eine Aufnahme vom Aufgang von der Ablage am See aus hoch zur Klosterkirche

Warum sieht auf heutigen Fotografien alles so "anders" aus, obwohl sich von der Bausubstanz des Abgebildeten gar nichts geändert hat (Abb. 3)?

Die Art wie Fotografien gemacht wurden, welche Art von Filmen man benutzte, welche Fotografien man schön fand, welche man verwarf, war in früheren Zeiten eine ganz andere als heute. 

Man könnte diesselben Aufnahmen heute auch anfertigen und auf "alt" umwandeln.

Abb. 4: "Tempelgärtchen", Neuruppin

Viele historische Aufnahmen geben den Orten, die heute noch weitgehend unverändert sind, eine Stimmung, die man dort vor Ort weder heute noch findet, noch auch auf modernen Aufnahmen desselben Ortes.

Abb. 5: Marschierende Soldaten in der Friedrich-Wilhelm-Straße (heute Karl-Marx-Straße), Ecke Rudolf-Breitscheid-Straße, um 1914 (rechts liegt der Brasch-Platz)

In dem auf Abbildung 5 zu sehenden Haus Karl-Marx-Straße, Ecke Rudolf-Breitscheid-Straße findet sich heute im Erdgeschoß das thailändische Restaurant "Kampai", rechts davon ein Friseurladen. Der Balkon über der Eingangstür ist heute nicht mehr vorhanden.

1904 - Zwischen Buchkunst und Baukunst

Das Herrenhaus in Neumühle bei Altruppin (ABrg) (1, 2) liegt etwas abseits und nahe der Rhin-Schleuse bei Altruppin. Es war nie adliger Besitz. Auf diesem Grundstück befand sich seit dem Mittelalter eine Wassermühle. 

1845 wurde das Herrenhaus erbaut, vermutlich von dem wohlhabend gewordenen Mühlenbesitzer. Ein Kommerzienrat Schütt kaufte es als Altersitz. Nach einem Brand wurde es von der nachfolgenden Generation, von der Familie Konrad und Martha Schütt zwischen den Jahren 1904 bis 1906 großzügig umgebaut. Es diente einer kinderreichen Familie zum Aufenthalt ebenso wie für Familienfeste. 

Abb. 6: Neumühle bei Altruppin - links Kornspeicher, rechts Herrenhaus

Die Pläne für den Neubau stammten von dem zu jener Zeit in Berlin und Düsseldorf tätigen, nicht unbedeutenden Grafiker, Buchgestalter und Schriften-Entwerfer Fritz Helmuth Ehmcke (1878-1965) (Wiki). Ehmcke hatte seine Ausbildung gerade beendet und im Jahr 1900 die nicht unbedeutende "Steglitzer Werkstatt" gegründet. 

In jener Zeit hat er auch mit dem Verleger Eugen Diederichs zusammen gearbeitet, der sich um eine qualitätvolle Gestaltung von Büchern bemühte. Der vielseitige Ehmcke hat unter anderem auch Titel und Einband der "Balladen und Lieder" von Agnes Miegel gestaltet, ein Buch, das ab 1907 bei Eugen Diederichs in vielen Auflagen erschien.

Abb. 7: Haus Molchow am Molchowsee

Ehmcke hat aber Zeit seines Lebens immer einmal wieder auch als Architekt gearbeitet. 

Zu gleicher Zeit wie das Herrenhaus in Neumühle umgebaut wurde, entstand einige Kilometer weiter am Molchowsee das Haus Molchow (Abb. 7) (3, 4). 

Hier war Bauherr ein Paul Remer (1867-1943), der als Schriftsteller einige bibliophile Buchkunstwerke hinterlassen hat.

Abb. 8: Paul Remer - Unter fremder Sonne (1896) (MusNeuruppin)

1896 etwa veröffentlichte er einen humoristisch gefärbten Reisebericht "Unter fremder Sonne", in dem er seine Reise in die unbekannte Welt nach Südamerika und wiederum seine Sehnsucht nach der mecklenburgischen Heimat beschrieb (MusNrp).

1943 - Kunstauslagerung nach Metzelthin

Zu den bedeutendsten Bildhauern Deutschlands der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gehörte der deutsche Bildhauer Fritz Klimsch (1870-1960) (Wiki).

Abb. 9: "Nymphe am Wasser" - Skulptur von Fritz Klimsch, aufgestellt hinter dem IG-Farbengebäude, heute Campus Westend, Frankfurt am Main, 1931

Seine 1931 aufgestellte Skulptur "Nymphe am Wasser", künstlerisch sehr ausgewählt platziert hinter dem damals neu errichteten IG-Farbengebäude in Frankfurt am Main, erfreut noch heute alle Menschen, die dort tätig sind. Im IG-Farbengebäude ist heute ein Teil der Universität untergebracht und das Gelände ist zum "Campus Westend" erweitert worden (UniFfm):

Dieser Bronzeguß stellt eine der herausragenden Variationen des künstlerischen Hauptthemas Klimschs dar, dem sitzenden weiblichen Akt.

Wenn man regelmäßig in den Bibliotheken des IG-Farben-Gebäudes weilt, recherchiert und studiert, kann man jeden Tag aufs Neue von dieser Skulptur gepackt und erfreut sein. Sie ist eigentlich von allen Fenstern der Rückseite des Gebäudes zu sehen. Sie ergreift aus jeder Perspektive, aus der man auf sie blickt. Es erscheint so leicht, "modern" zu bauen und dennoch zugleich den menschlichen Alltag mit entspannender Schönheit zu durchtränken.

Abb. 10: Nymphe am Wasser auf der Rückseite des berühmten IG-Farbengebäudes in Frankfurt am Main

Dem Architekten Hans Poelzig (1869-1936) (Wiki) war dies möglich. Aber nicht nur in Frankfurt am Main gibt es an vielen Orten Skulpturen von Fritz Klimsch (UniFfm), auch an einigen Orten in Berlin sind solche aufgestellt. Etwa im Heimatmuseum Köpenick.

Überraschenderweise findet sich nun eine Skulptur von Fritz Klimsch auch in Kyritz im dortigen Rosengarten. Es handelt sich um die Skulptur "Die Woge", die im Jahr 1942 entstanden ist (Abb. 11). Wie kam sie nach Kyritz? Wir lesen (MAZ 2019):

Der Bildhauer Fritz Klimsch (1870 bis 1960) schuf "Die Woge" vermutlich zu Beginn der 1940er Jahre. Die 1942 in der Münchener Kunstausstellung präsentierte Plastik wurde wohl noch zu Kriegsende zusammen mit weiteren Statuen in den Metzelthiner Gutspark gebracht. In den 1950er Jahren wurde sie dort aus einem Teich geborgen und gelangte anschließend nach Kyritz. Zunächst wurde die Plastik dort aufgestellt, wo heute das VdN-Denkmal steht. In den 1960er Jahren wurde die Woge an ihren heutigen Standort gebracht.

Im Zusammenhang der Verbleibsgeschichte vieler weiterer Skulpturen von Fritz Klimsch ebenfalls eine etwaige Station Metzelthin erörtert. 

Abb. 11: "Die Woge" - Skulptur von Fritz Klimsch

So lesen wir über die Figur "In Wind und Sonne":

Kurt Reutti hat in seinem Bericht über den Verbleib der Kunstwerke aus Staatsbesitz (und der Staatlichen Museen) dezidiert festgehalten, daß zahlreiche bildhauerische Werke von Fritz Klimsch nach Metzelthin ausgelagert worden sind. Es scheint aber auch so zu sein, daß Fritz Klimsch ein (anderes?) Exemplar der Figur „In Wind und Sonne“ „aus seinem Atelier“ der Auslagerung nach Gut Metzelthin zufügte (Fritz Klimsch: Liste mit Kunstwerken im Atelier, die zur Auslagerung nach Gut Metzelthin vorgesehen sind, 1943; Freundl. Mitteilung von Herrn Rolf H. Johannsen, Alte Nationalgalerie Berlin an den Verfasser, 11/2007). Nach Kriegsende wurden die dortigen Depots "von den Russen geplündert", ein Teil der verbliebenen Kunstwerke, darunter mindestens eine Bronze von Klimsch, von den ortsansässigen kommunistischen Funktionären entwendet und teilweise "in den Westen" verkauft, die Marmorbildwerke Klimschs von der ortsansässigen "Dorfjugend" zertrümmert (vgl. Typografische Aufzeichnungen von Kurt Reutti über den Verbleib der Kunstwerke des Staates und der Staatlichen Museen zu Berlin nach 1945, Unterlagen im Geheimen Staatsarchiv PK, Berlin-Dahlem (GStA PK, XVI, HA, NL Reutti, Bd. 1, S. 16-17; Freundliche Mitteilung von Herrn Rolf H. Johannesen, Alte Nationalgalerie Berlin). "Herrenloses Kulturgut" wurde nach Kriegsende an verschiedenen Sammelpunkten zusammengetragen und später von dort aus verteilt. Bekannt ist, daß Kunstgut aus den Reichsministerien im „Ermelerhaus“ in der Breite Straße gesammelt wurde (Freundliche Mitteilung von Herrn Rolf H. Johannesen an den Verfasser).

Die Zerstörungswut mancher Menschen in Metzelthin nach 1945 setzt sich übrigens - laut Zeitungsberichten - mittels Beschmierens der Skulptur "Die Woge" in Kyritz bis heute fort. Ob die Skulptur "Die Woge" im Rosengarten in Kyritz den ihr angemessenen Standort gefunden hat? Ob sie wohl nicht eher geschaffen worden ist für ein "Zusammenspiel" zwischen Skulptur und Architektur, wie sie so außerordentlich wohltuend gelungen ist in Frankfurt am Main?

Über eine andere, ebenfalls nach Metzelthin ausgelagerte Skulptur wird berichtet, daß sie zuvor, 1936, in dem Innenhof des damals neu gestalteten Propagandaministeriums in Berlin aufgestellt worden war. Dieses ist 1947 gesprengt worden:

Fritz Klimsch vermutete 1948 in einem Brief an seine Kusine Pauline, daß die Version des Ministeriums von "Russen in Berlin gestohlen" worden sei (vgl. Hermann Braun: Fritz Klimsch. Ausstellungskatalog der Galerie Koch, Hannover 1980, S. 72-73). Vielmehr scheint es jedoch so zu sein, daß die Plastik aus dem Ministeriumsgarten schon 1943 auf Gut Metzelthin bei "Wusterhausen" ausgelagert worden ist und erhalten blieb.

Soweit unsere bisherigen Recherchen zu diesem Thema. Dieser Beitrag wird bei Gelegenheit korrigiert und erweitert.

/ Im Entwurf zusammen 
gestellt seit Anfang 2018 /

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  1. Popp, Jos.: Das Herrenhaus Neumühle bei Altruppin von F. H. Ehmcke. In: Dekorative Kunst, 5. Dezember 1918, XXIL/1919, S. 65ff (Digit. Sammlung)
  2. https://www.luftbildsuche.de/info/luftbilder/gebaeude-parkanlagen-gutshauses-neumuehle-alt-ruppin-brandenburg-deutschland-510869.html 
  3. Reform-Drang am Molchowsee. Vortrag im Tempelgarten, 2016, https://www.maz-online.de/Lokales/Ostprignitz-Ruppin/Reform-Drang-am-Molchowsee
  4. Haus Molchow, http://teppojokinen.eu/fruehere-forschungs-und-ausstellungsprojekte/ 
  5. Kuhn, Jörg: In Wind und Sonne,  https://bildhauerei-in-berlin.de/bildwerk/in-wind-und-sonne/
  6. Belenger, J.: Between The Sensual and The Heroic: The Sculptures of Fritz Klimsch, March 2, 2017, http://www.renegadetribune.com/sensual-heroic-sculptures-fritz-klimsch/