Freitag, 17. Juni 2022

"... gelangte man an die geliebte Ostsee"

Rowe - Einst
- Ein Ostseebad in Pommern und seine Umgebung

Da sich das einstige, deutsche Fischerdörfchen Rowe in Pommern seit 1945 sehr stark verändert hat (Pr22), macht es Sinn, sich auch das historische Rowe vor 1945 vor Augen zu führen, so wie es Maler wie Max Pechstein (Pr2022) oder der aus Stolp gebürtige Maler Jürgen Wegener (1901-1984) (Wiki) kennen und lieben gelernt haben.

Abb. 1: Jürgen Wegener - Die Lupow-Mündung bei Rowe (Zustand vor 1945)

Es mag ja immerhin auch kunstgeschichtlich von Bedeutung sein, von diesem historischen Zustand des Ostseebades Rowe zu wissen.

Abb. 2: Rowe - Badestrand und Lupowmündung, 1928

Heute ist zum Beispiel die Lupow-Mündung in die Ostsee und der Verlauf der Lupow durch das Dorf hindurch völlig einbetoniert, ebenso das geschaffene Hafenbecken daselbst. All das scheint - den Bildern nach zu schließen - vor 1945 nicht der Fall gewesen zu sein (Abb. 1 bis 5).

Um wie viel schöner muß es also vor 1945 in diesem Ostseebad gewesen sein. Um wie vieles geruhsamer.

Abb. 3: Ostseebad Rowe, Fliegeraufnahme, 1920er oder 1930er Jahre

Wir sehen da Bauernhäuser, zum Teil noch mit Schilf gedeckt, wir sehen Stallgebäude und Scheunen. Wir sehen das sandige Ufer der Lupow. 

All das ist heute völlig umgestaltet. Alle Häuser im Ortskern von Rowe sind heute mehrstöckige Hotels und Ferienanlagen oder flache, ebenerdige Lagerhallen.

Abb. 4: Idyllisches Klein-Rowe, Blick über den Lupow-Fluß

Wie sehr sich heute alles gegenüber dem früheren Zustand verändert hat! Nur die Ostsee spült wie einst und je an den Strand der Küste, nur der Wind weht über die Dünen - wie einst und je.

Abb. 5: Ostseestrand bei Rowe (mit Hakenkreuzfahnen)

In diesen Blogbeitrag wollen wir nach und nach noch Auskünfte über die Geschichte der Umgegend von Rowe einpflegen.

Auf dem Weg von Rowe nach Stolpmünde kommt man über Schönwalde und Wobsde in das Dorf Klein Machim (Wiki), vier Kilometer vom Ostseedörfchen Neustrand (heute "Poddąbie") und vom dortigen Ostseestrand entfernt (Wiki):

Der Wohnplatz Neu Strand ist ein von Friedrich dem Großen gegründetes Kolonisten-Dorf. Der Gründungsurkunde von 1772 zufolge wurden auf dem zum Gut Klein Machmin gehörigen Terrain zwölf Kossäten angesetzt. 

Von Schönwalde aus ist dieses Dörfchen noch heute nur durch einen Sandweg durch den Wald hindurch zu erreichen.

Neu Strand

Über dieses Neu Strand wurde 1936 geschrieben (Ü):

"... Und in all dieser Schönheit findet der Naturfreund ein kleines Dorf, das im Mittelpunkt dieser Gegend liegt: Neu Strand, das rings umgeben ist von großen Wäldern. Steil fällt hier die Küste ab zum Meer. Neu Strand wird wohl den meisten Stolpern nicht unbekannt sein. Frieden Iiegt über dem Dörfchen, aber hart und schwer ist hier die Arbeit."

In solchen Dörfern könnten also auch die Vorfahren in Stolp gerne Urlaub gemacht haben. Wir lesen weiter (Ü):

Das idyllische Fischerdorf Neu Strand war für die Feriengäste der Inbegriff aller Urlaubsfreuden. Der kleine Ort bestand nur aus wenigen Häusern, die alle mit ihren teils rohrgedeckten Dächern an einer Seite der sandigen Dorfstraße Iagen. Lieselotte Albrecht erinnert sich: "Schon einige Wochen, bevor die ersten Feriengäste nach Neu Strand kamen, herrschte in allen Häusern ein emsiges Leben und Treiben. Die Fischer zogen mit ihren Familien in die Sommerhäuser, wo sie dann meistens nur ein Zimmer und die Küche bewohnten. Jeder verfügbare Raum wurde für die Sommergäste freigemacht. Nach dem Umzug ging es an das Großreinemachen. Die Küche wurde geweißt, die Gardinen gewaschen, der Fußboden geschrubbt, und wenn die ersten Gäste kamen, blitzte alles vor Sauberkeit. In der Wahl der Gäste waren die Neu Strander sehr konservativ. Alle hatten jahrelang "ihre" Gäste, und es wäre unvorstellbar gewesen, daß einmal einer seine Wohnung an einen Fremden vermietet hätte, auch wenn dieser ihm einen höheren Mietpreis geboten hätte. Dadurch, daß immer dieselben Leute zu den Fischern kamen, hatte sich zwischen Einheimischen und Gästen eine wahre Freundschaft und tiefe Verbundenheit herausgebildet."

Die letzten deutschen Besitzer des Rittergutes in Klein Machim, vier Kilometer von Neustrand entfernt, waren der im Jahr 1945 68-jährige Rittmeister Dr. Günther von Zitzewitz (1877-1945) (Geni) und seine Frau Helene von Zitzewitz, geb. von der Marwitz (1884-1970).

Klein Machim

Sie hatten zwei zu der Zeit schon verheiratete Kinder, Angelika von Zitzewitz (geb. 1907) und Jürgen von Zitzewitz (1911-1988). Erstere war mit Konrad von Uckermann auf Bedlin verheiratet, letzterer hatte 1938 Alberta von Brandenstein geheiratet. Die Liebe zu ihrer Heimat brachte Helene von Zitewitz nach 1945 folgendermaßen zum Ausdruck (Ü):

"Die Lage von Machmin war berückend schön. Das Gutshaus lag dicht umgeben von großen Rasenflächen mit alten Baumgruppen, in englischem Stil gehalten. Das wellige Terrain ging in 200 Morgen parkartig gehaltenen Wald über, den Wiesen umgaben, auf denen die Rehe ästen und im Herbst die Hirsche schrien ... Durch 4 ½ km Feld- und Waldgelände gelangte man an die geliebte Ostsee. Bis an den Rand der Steilküste reichte der Buchenwald und ohne Dünengelände kletterte man hinab an den sehr breiten schneeweißen Strand, den die Wellen umspülten."

"Aber Grauen sank drüber wie Dünensand ...," so möchte man mit den Worten der Dichterin Ostpreußens, Agnes Miegel, sagen. 

"Grauen sank drüber wie Dünensand ..."

Denn über das Jahr 1945 erfahren wir (Ü):

Anfang Januar 1945 wurden in Klein Machmin erste Räumungsvorbereitungen getroffen. Doch als die Russen kamen, konnten sich nur zehn Bewohner mit dem Schiff über Stolpmünde und Danzig retten. Die Frau des Gutsbesitzers verließ mit ihren Angehörigen Machmin in einem Wehrmachtsauto am 3. März. Günther von Zitzewitz harrte weiter aus.

Und wir lesen weiter (Ü):

Am Tage vor der Besetzung waren sämtliche Straßen verstopft. Die Tracks kamen in den letzen 24 Stunden nur fünf bis sechs Kilometer voran. Die letzten deutschen Soldaten waren Kanoniere der Flak und Angehörige des Volkssturms vom Schießplalz Stolpmünde. "Am frühen Vormittag des 9. März zogen dann die ersten russischen Truppen in östlicher Richtung durch Klein Machmin. Es waren Infanterie und Panzerabwehr. Kämpfe fanden nicht statt . . ." Zu dieser Zeit war das Dorf voller Flüchtlinge. An den folgenden Tagen kam es immer wieder zu Plünderungen und Vergewaltigungen. Russische Kommandos verschleppten mehrere Dorfbewohner, von denen einige zurückkehrten. Auch Rittergutsbesitzer von Zitzewitz wurde in Stolp im Magazin eingekerkert. Am 26. Mai 1945 ist er im Hospital St. Spiritus gestorben. Die Schule wurde teilweise zerstört. Ende März mußten die Bewohner den Ort verlassen, weil er innerhalb der militärischen Sperrzone an der Ostsee lag. Die Evakuierten zogen zehn Kilometer südwärts und kamen vorübergehend auch nach Stolp, wo sie in die Kasernen an der Gumbiner Chaussee eingewiesen wurden, die auch von Soldaten belegt waren. Im Mai durften alle wieder nach Hause. Die polnische Besetzung begann am 1. August 1945 mit der Einsetzung eines Bürgermeisters, eines polnischen Amtsvorstehers und dem Erscheinen polnischer Miliz. Bis Ende 1945 ließ sich auf jedem Hof eine polnische Familie nieder. "Die Ausplünderung wurde durch die Polen verstärkt fortgesetzt". Druck und Terror im Dorf nahmen seit Ende 1945 immer mehr zu. Im Juni 1946 wurden die ersten Deutschen aus Klein Machmin abtransportiert. Nach der wochenlangen Unterdrückung empfanden die Dorfbewohner die Vertreibung aus ihrer Heimat fast schon als Erlösung. Bis Ende 1946 mußte etwa die Hälfte der Bewohner das Dorf verlassen, unter ihnen auch Bürgermeister Below. Ein Transport ging am 15. Dezember 1946. Im Jahre 1952 gab es in Klein Machmin noch 71 Deutsche. Darunter waren zehn deutsche Familien aus Saleske, die man zwangsumgesiedelt hatte, damit sie das Gut bewirtschafteten. Es gab 1952 eine deutsche Schule, die etwa fünf Jahre bestanden hat. Die Heimatortskartei Pommern ermittelte später 253 Bewohner in der Bundesrepublik Deutschland und 157 in der DDR. Aus Klein Machmin wurde Machowinko. Kriegs- und Vertreibungsverluste: 14 Gefallene, 10 Ziviltote und 24 Vermißte ("ungeklärte Fälle").

Stolpmünde

Nun sei abschließend nur noch ein Foto von Stolpmünde gebracht, auf dem der bescheiden-mondäne Charakter dieser liebenswürdigen Stadt vielleicht am besten zum Ausdruck kommt (Abb. 6).

Abb. 6: Stolpmünde vor 1945 - Bescheiden und mondän zugleich - Nirgendwo "Überladenes", Protziges, Beleidigendes

1945 haben sich auch in Stolpmünde unwahrscheinlich dramatische, unendlich entsetzliche Szenen abgespielt (Ü):

In den letzten Tagen sind aus Stolpmünde noch 18.310 Flüchtlinge, Soldaten und Verwundete herausgekommen, seit dem 15. Januar insgesamt 32.780 Menschen. (...) In panikartiger Flucht verließen 3.000 Flüchtlinge den Ort auf den Ausfallstraßen in Richtung Osten. Ein Fluchtweg führte entlang der Küste nach Schönwalde, der andere über Strickershagen und Weitenhagen nach Gambin. Auch die mit Pferd und Wagen Flüchtenden wurden schon nach Stunden oder Tagen von den schnell vorstoßenden Russen eingeholt. 

Auch zu den Quälereien der zurückgebliebenen Deutschen in Stolpmünde gibt es ausführliche Beschreibungen (Ü):

Kriegs- und Vertreibungsverluste: 123 Gefallene, 58 Ziviltote und 729 Vermißte ("ungeklärte Fälle").

So viel deutsche Vergangenheit in jeder einzelnen Ortschaft Pommerns, in jeder deutschen Familie Pommerns.

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